Eine Geschichte über wohl unvermeidliche Fragen, denen man mit Humor begegnen sollte.
Ich war im Heimatland meiner Eltern und habe mit meiner Cousine beschlossen eine Pyjamaparty bei ihr zuhause zu organisieren. Wir beide waren gerade einmal neun Jahre alt. Bevor die Dämmerung einsetzte, entschlossen wir uns ihre Freundinnen im Park zu treffen. Sie packte mich an meinem Arm und schrie voller Begeisterung: „Du lernst endlich meine Freundinnen kennen! Sie werden dich lieben und du sie bestimmt auch!“ Ich war so aufgeregt ihre Freundinnen kennenzulernen, dass ich einen Tag zuvor meinen Vater um zehn Euro gebeten hatte. Ich kaufte uns allen damit Schokolade und verlockend ausschauende, jedoch geschmacklose Kaugummis, jene, die gerade bei allen Kindern so beliebt waren. Bevor wir Richtung Spielplatz gingen, richtete ich die Schuhbänder meiner roten Chucks und nahm fröhlich die Hand meiner Cousine. Meine Cousine aber ließ mich los, rannte auf ihre Freundinnen zu und umarmte sie herzlich. Mir waren sie noch zu fremd, um sie gleich zu umarmen, also winkte ich ihnen nur schüchtern zu.
„Hallo!“, sagte ich mit einer leicht zitternden Stimme, die ich durch meine Aufregung bekommen hatte. Sie schauten mich sehr direkt an, stellten sich vor und erkundigten sich trotz meiner Anwesenheit bei meiner Cousine: „Woher kommt sie? Versteht sie uns?“ Bevor diese ihre Fragen beantworten konnte, ergriff ich das Wort und konterte lächelnd: „Ja, sicher verstehe ich euch. Warum sollte ich es nicht tun? Und, ich komme aus der Nachbarstadt.“ Das größte der Mädchen schaute mich mit einem prüfenden Blick an und äußerte sich mit einem etwas abwertenden Ton: „Nein. Die Frage, die hast du nicht wirklich verstanden!“
„Woher kommst du? Aus welchem Land kommen deine Eltern?“
Ich schaute etwas verwirrt drein. Was kann man an dieser einfachen Frage falsch verstehen? „Wie gesagt, ich komme aus der Nachbarstadt, meine Eltern auch. Warum ist euch so wichtig, wo ich herkomme? Ich spreche doch dieselbe Sprache wie ihr. Ich bin wie ihr.“
Daraufhin fingen alle laut zu lachen an und ich stand da, beschämt, verlegen. Ich lächelte, aber gleichzeitig kam ich mir dumm vor. Es wirkte, als hätte ich einen Witz überhört. Ich fühlte mich nicht besonders wohl.
Alles war jedoch schnell wieder vorüber, da meine Cousine ihren Freundinnen begeistert berichtete, dass ich Geld mithatte und ich sie alle einladen würde. Die Eltern eines Mädchens besaßen einen kleinen Supermarkt und wir rannten flugs dorthin. Vor dem Laden erkundigte sich eines der Mädchen, wieviel Geld ich denn dabeihätte. Ich öffnete meine Faust und zeigte ihnen den roten, etwas faltigen Schein. Die Älteste lachte laut auf: „Das sind ja Euro und noch dazu ist das eine Menge Geld, damit könntest du das ganze Chips Regal kaufen! Und du willst uns weiß machen, dass du Bosnierin bist.“ Ich verstand damals die Aussage nicht recht, deswegen ignorierte ich sie auch. Alle nahmen sich unbekümmert was sie wollten und spazierten selbstzufrieden zur etwas ranzigen Kasse. Die Mutter der Freundin schaute überrascht drein und fragte vorsichtig: „Wer hat vor das alles zu zahlen, Mädels?“ Einige der Mädchen riefen meinen Namen. Die Frau inspizierte mich mit fesselndem Blick und stellte unmittelbar ihre zweite Frage: „Woher kommst du? Wie heißen deine Eltern?“
Eines der Mädchen verdrehte ihre grün-blauen Augen und antwortete sarkastisch: „Sie sagt, sie kommt aus Bosnien.“ Die Frau beobachtete mich mit Argusaugen. Ich deutete meiner Cousine mit den Fingern, dass ich ihr nicht antworten wollte. Meine Cousine reagierte prompt und erzählte von meinen Eltern. „Also Mama, ist sie jetzt eine echte Bosnierin?“, hörte ich. Die Mutter strich ihrer Tochter die Haare aus dem Gesicht und erwiderte besserwisserisch: „Nein Schatz, sie lebt in Österreich. Ich kenne ihre Eltern. Sie hat einen österreichischen Pass, deswegen gehört sie nicht hierher.“ Mit einem etwas milderen Blick schaute sie wieder zu mir, doch ich traute mich nicht aufzublicken. Ich starrte wie versteinert meine Schuhbänder an, die ich erst vor kurzem gerichtet hatte.
Ich schämte mich zutiefst. Ich spüre diese Scham, die ich damals hatte, heute noch.
Warum ich mich so geschämt habe, weiß ich nicht. Vielleicht weil ich ein Kind war, das sehr stolz war sagen zu können: „Ich bin Bosnierin.“ Doch seitdem sage ich es nicht mehr oft, weil es sich falsch anfühlt. Durch solche Vorfälle, die ebenso in Österreich geschehen sind, kann ich durchaus nicht mehr behaupten, mich in beiden Ländern zuhause zu fühlen.
Sie fragen, wo ich herkomme. Ich kenne die Antwort genauso wenig, wie die Fragenden. Ich lebe für die in Bosnien viel zu sehr in der österreichischen Kultur, sodass ich nie eine „echte“ Bosnierin sein kann und für die Menschen in Österreich, lebe in einer ausländischen Kultur, sodass sie von mir nie behaupten könnten, eine waschechte Österreicherin zu sein.
Sie fragen mich, wo ich herkomme. Sie fragen nach der Wurzel meiner Herkunft, nach meinem Pass, nach meiner Religion, nach meiner Sprache, nach meiner Nationalität.
Solche Grenzen trennen Menschen. Ich musste es schon als Kind spüren. Warum ist es so wichtig, wo ich herkomme? Es zählt doch das, was in meinem Herzen ist, das macht doch einen Menschen aus. Die Freundinnen meiner Cousine kannten mich nicht. Sie wussten nicht einmal, wie ich wirklich bin. Durch unsere Gesellschaft drückten sie mir gleich einen Stempel auf die Stirn, sie verurteilten mich, weil ich angeblich „anders“ bin.
Viele fragen mich, wo ich herkomme. Es ist doch so eine leichte Frage, aber ich kann sie trotzdem nicht beantworten. Doch irgendeine Antwort muss ich ja geben, deswegen sage ich in Zukunft auf die wohl unvermeidliche Frage: Sag mal, wo kommst du denn her? – Aus Schlumpfhausen, bitte sehr…
Das Nicht-Dazugehören ist für Leute mit Migrationshintergrund ein allbekanntes Problem. Egal ob im Heimatland oder in Österreich, es gibt immer Punkte, bei denen man sich von der Masse ausgrenzt. Cool, dass darüber ein Artikel geschrieben wurde!
Ich kann nur aus eigener Erfahrung sprechen und dir zustimmen. Ein sehr gut formulierter Artikel, der ein Thema behandlet, welches viele Schülerinnen und Schüler aus dieser Schule verstehen und fühlen. Es ist nicht leicht diese Frage zu beantworten, vor allem wenn die Fragenden es noch „ausführlicher“ machen wollen und sagen: nein, ich meine WOHER genau kommst du? ,sagen, was die ganze Situation eigentlich nur unbequemer macht. Der Artikel hat mir sehr gefallen.